
Jacques Clément betrat die kleine Dachgeschosswohnung im sechsten Stock des Boulevard Saint-Germain. Die junge Concierge war mit ihm die breite Marmortreppe bis zum 6. Stock hochgeeilt. Jeder seiner Schritte war auf den mit rotem Samtteppich beschlagenen Stufen verstummt, und er hatte sich gefühlt wie ein Geist, der lautlos hinaufgeschwebt war. Oben angekommen, waren sie durch den engen, novembergrauen Flur gegangen, an dessen Wänden sich langsam die Tapete löste. Dann hatte die Concierge den Schlüssel in das Schloss gesteckt und die Tür zu seinem neuen Leben aufgestoßen.
Der spärlich bestückte Raum, der sich vor ihm auftat, spiegelte die bedrückende Leere wider, die er in seinem Herzen fühlte. Ein unbändiger Drang stieg in ihm auf, einfach umzukehren, wegzulaufen, ohne einen Gedanken an seine ungewisse Zukunft zu vergeuden. Er atmete tief ein, trat über die Schwelle und wusste, es gab kein Zurück mehr. Er hatte eine Entscheidung getroffen, sein altes Leben existierte nicht länger. Dies war nun sein neues Zuhause, dieses enge Zimmer seine neue Welt. Eine Welt, in der kein Platz war für große Hoffnungen.
Die Concierge gab ihm die Schlüssel in die Hand, sagte etwas Belangloses, was er nicht wahrnahm, verschwand und schloss die Tür hinter sich. Er war allein, wie er es schon oft zuvor in seinem Leben gewesen war. Doch diesmal spürte er, wie Panik in ihm hochkroch, in jede seiner Zellen eindrang und ihm den Atem nahm.
Er setzte sich auf das schmale Bett, das unter der Dachschräge stand, und versuchte, sich zu beruhigen, doch in seinem Kopf pulsierte nur der eine Gedanke. Er hatte sie verlassen, sie von sich gewiesen. Er war es gewesen, der für sie beide die Entscheidung getroffen hatte, und trotzdem fühlte er sich, als wäre es ein anderer gewesen, ein feiger Fremder, der nicht den Mut besessen hatte, sich seinem Glück zu stellen.
Sein Blick schweifte im Raum umher. Wie in Paris üblich waren die alten Dienstmädchenzimmer renoviert und zu kleinen Wohnungen umgebaut worden. Hier schien diese Veränderung jedoch schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. Auf der anderen Seite des kargen Zimmers befand sich eine Kochnische, die aus einer anderen Zeit zu stammen schien. Daneben führte eine Tür zu einem winzigen Badezimmer mit Waschbecken und Dusche, während sich die Toilette draußen auf dem Gang befand. In der Mitte des Raumes stand ein brauner Esstisch mit vier unterschiedlichen Holzstühlen und an der Wand gegenüber dem Bett lehnte ein antiker Spiegel, aus dem ihn seine grünen Augen zweifelnd anblickten. Sein sonst so lebendiges Gesicht warf unsichere Schatten auf, während der kurze Bart ihn älter wirken ließ, als er war. Und dennoch war dort ein jugendliches Funkeln ganz hinten in seinen Augen auszumachen, ein Überbleibsel der Person, die er einst gewesen war.
Er war am Ende seiner Reise angekommen. Er kam sich vor wie ein Tiger, der sich selbst in den Käfig gesperrt hatte. Er wollte fliehen, vor sich und vor der Welt, wollte frei sein, und doch war dieses selbst geschaffene Gefängnis das Einzige, was ihm Sicherheit gab. Er war nicht mehr fähig, sich den Menschen dort draußen zu stellen. Wie sollte er die Nichtigkeiten, die belanglosen Dialoge auf der Straße, ertragen? Wie konnte das Leben einfach weitergehen, wenn seine Welt nicht mehr existierte?
Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er zog seine Schuhe aus, legte sich auf das Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.